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Samstag, 11. Dezember 2021

Eintrag 507

Weihnachten 1987

-Als mein Vater so alt war, wie ich heute bin-

Natürlich habe das Weihnachten 1987 nur noch skizzenhaft in Erinnerung. In dem genannten Jahr war mein Vater 47 Jahre jung, so wie ich heute. Es war sein vorletztes Weihnachten, denn er starb im Sommer 1989 qualvoll an den Folgen seines jahrelangen Alkoholkonsums.

Weihnachten 1987 war ich 13 Jahre jung und kam in die Pubertät. In diesem Winter besuchte ich ein Gymnasium, auf dem meine Schwester erfolgreich ihr Abitur absolvierte (Ich habe die Probezeit nicht bestanden und mein Fachabitur als Erwachsener nachgeholt). Während dieser Zeit war die Ehe meiner Eltern bereits heillos zerrüttet, weil sämtliche Familienangehörige unter dem Suff meines Vaters litten. Alles drehte sich um seine Sucht und um das damit verbundene Verhalten. 

Die Zankerei ging schon los, als der Weihnachtsbaum aufgestellt wurde. Diese nicht harmonische Stimmung zwischen meinen Eltern in der Vorweihnachtszeit, kannte ich bereits seit meiner frühen Kindheit. Mein Vater organisierte 2 Weihnachtsbäume. Ein Baum stand im Wohnzimmer, der andere auf der Terrasse. 

Da mein Vater nicht oft nüchtern war und sich meine Mutter stets darüber aufregte, übertrug sich die Spannung, die zwischen meinen Eltern herrschte, über das Lametta bis in die Spitze des Christbaums. Meine Mutter hatte ihre Vorstellungen, wie der Baum vom Grundsatz her geschmückt werden sollte. Mein Vater meinte es auf seine Art gut, wollte Weihnachtsstimmung schaffen und machte dabei ganz laut Musik an. Doch irgendwie passte all das nicht zusammen. Am Ende eines "Schmückabends" ging mein Vater gelegentlich wieder in die Kneipe, wo er eh schon halb wohnte.

Am "Heiligen Abend" kam meine Mutter nachmittags von der Arbeit und bereitete das Abendessen in der Küche vor. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann war meine Schwester zuerst bei den Eltern ihres damaligen Freundes und kam erst am späteren Abend nach Hause oder umgekehrt. Vor der Bescherung wurde Abendbrot gegessen, welches meine Mutter auf einem liebevoll gedeckten Tisch präsentierte. Es ist auch gut möglich, das meine Oma aus Peine anwesend war, denn sie war sehr oft bei uns zu Besuch. Mein Vater, der bereits viele Jahre arbeitslos war und ein zerstörtes Selbstwertgefühl in sich trug, saß angetrunken auf dem Sofa und hörte ganz laut tragende Weihnachtsmusik, gesungen von Chören. Ich verweilte solange in meinem Kinderzimmer, bis ich zur Bescherung gerufen wurde. 

Am "Heiligen Abend" wandelte sich für mich die kindliche Vorfreude der Vorweihnachtszeit in Freude um. Und irgendwann war es soweit: Wie jedes Jahr klingelte meine Mutter mit einem kleinen Glöckchen und rief meine Schwester und mich ins Wohnzimmer. Wie das bei Kindern so ist, richtete sich der Fokus für den Rest des Abends auf die Geschenke, die reichlich unter dem Weihnachtsbaum lagen. Im Laufe des Abends besuchten uns unsere Nachbarn, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe. Es war viele Jahre üblich, das es irgendwann an der Tür klingelte und ein paar Leute auf dem Sofa saßen. 

1987 war das letzte Weihnachten, in dem mein Vater noch halbwegs ansehnlich war. Ein Jahr später lief er mit einem "Wasserbauch" und dünnen Beinen herum, die Vorboten seines Todes. Er konnte nur noch wenige Meter laufen, wurde kurzatmig und spuckte ständig gelben Schaum. Der Stoffwechsel in der Leber war gestört, was die Schädigung anderer Organe zur Folge hatte. Wie die letzten Wochen bei einer Leberzirrhose aussehen, kann jeder in einschlägigen Quellen nachlesen. 

Manchmal habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass ich in einem Alter bin, in dem mein Vater nicht mehr lange lebte. Sein auserkorener Lebensstil zeigt deutlich, was passieren kann, wenn man sich dem Suff hingibt und Hilfe verweigert. Die Konsequenz war sein früher Tod und meine vaterlose Jugend. Das Bier hatte ihn vereinnahmt und unsere Familie auseinander fließen lassen.