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Sonntag, 24. November 2024

Eintrag 846

Zum Totensonntag
-Mama, eine weiße Möwe hoch über dem Ozean.-

Hallo Mama,

ich möchte Dir sagen, dass ich fast jeden Tag an Dich denke. Ich zünde sehr oft eine Kerze an, die neben Deinem Bild auf meinem Schrank im Wohnzimmer steht. Ein Bild von Papa steht wenige Zentimeter von Dir entfernt. Ihr seid beide viel zu früh von dieser Welt gegangen. 


Du fehlst mir an allen Ecken und Enden! Ich liebte das Lächeln in Deiner Stimme und Deine unkonventionelle Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Ich liebte einfach alles an Dir. In vielerlei Hinsicht waren wir uns im Wesen sehr ähnlich. Wir haben ungern gestritten und uns mit vielem einfach abgefunden, anstatt Lebenszeit dafür zu verschwenden, sich permanent über etwas aufzuregen und dagegen anzukämpfen. Das Leben ist für immerwährende Konflikte und ewigen Zank einfach zu kurz. 
Menschen, die zumindest noch ein Elternteil haben, können meine Gefühle nur schwer nachempfinden, weil sie sich in einer anderen Lebenssituation befinden. Aus heutiger Sicht fühlt es sich komisch an, aber vor Deinem Tode warst Du immer da, auch wenn Du an einem anderen Ort wohntest. Für mich warst Du ein Mensch, der mir einzig und allein durch seine bloße Existenz eine enorme Stabilität verlieh. Keine Eltern mehr zu haben bedeutet für ein Kind "nackt" zu sein, egal in welchem Alter sich das Kind befindet.
Du hattest Mitte der 1990 ´er Jahre, relativ kurzfristig, Berlin verlassen und bist mit H. nach Spanien gezogen. Dies war damals für mich ein schwerer Schock, weil ich mich alleingelassen fühlte. Ich hatte als junger Mann das Gefühl, dass mich nach dem Tod meines Vaters nun auch meine Mutter "verlässt". Man kann mal eben nicht zum Kaffee nach Spanien kommen, dachte ich mir immer. Ein Wiedersehen ist stets mit einer mehrtägigen Reise verbunden, die einer Planung Bedarf. Ich war damals Mitten in meiner Ausbildung und musste mich neu orientieren. Ich fühlte mich plötzlich "nackt", so völlig ohne Eltern. Erst viele Jahre später realisierte ich, dass Du nach dem Tod Deines alkoholkranen Mannes diesen Weg gehen wolltest. Und irgendwie war ich zu Beginn Deines Umzugs traurig darüber, dass ich der "Preis" für diese Entscheidung war, bzw. die gemeinsame Lebenszeit, die durch eine so große Entfernung zwangsläufig verloren geht. Man sieht sich nicht mehr 1 Mal im Monat, sondern nur noch 2 Mal im Jahr. Ja, wir konnten telefonieren und wir besuchten uns gegenseitig, aber es ist halt ein gewaltiger Unterschied, ob man im selben Land wohnt oder nicht. Erst viele Jahre später war ich mit Deiner Entscheidung im Reinen und ich finde, wir alle haben stets versucht das Beste aus allem zu machen. Die große Entfernung hat sich leider auch während der Corona-Pandemie gerächt. Es gab Reisebeschränkungen, Quarantäne-Vorschriften u.v.m. Und auch während der "Lockerungen" der Vorschriften konnte man nicht einfach so nach Spanien fliegen, da es lange Zeit Quarantäne-Regelungen gab. Hättest Du in Deutschland gewohnt, hätten wir uns während dieser Zeit sicherlich gesehen, wie sich viele Familien auch sehen konnten. Aber im Ausland war das alles nicht so leicht möglich. Das nur kurz zu dem Märchen, was herumerzählt wird, weshalb wir uns während der Pandemie nicht so einfach sehen konnten. Aber Du und ich haben uns am Telefon oft erzählt, dass das "O.K." ist und man die Corona-Vorschriften nun Mal nicht ändern kann.
Dieses Foto aus meinen Kindheitstagen sagt so viel über unsere innige Bindung aus, die wir bis zu Deinem Tod hatten. Und auf unsere Bindung waren einige Menschen neidisch.
Gewiss, es gab nicht selten Phasen, in denen wir manchmal viele Wochen nicht telefonierten. Dies spielte jedoch nie eine Rolle. Es gab keine Vorwürfe, weil unser Band stabil war. Du hast existiert, wärst auch 2000 Kilometer entfernt in Notfällen für mich da gewesen. Du hättest mich, auch ohne Dir Geld bezahlen zu müssen, niemals auf der Straße schlafen lassen, wäre es hart auf hart gekommen. Es hätte kein Wenn und kein Aber gegeben. Ein Kind ist ein Kind, ein Leben lang und fertig. Und genau dieses tiefe Sicherheitsgefühl, dass ich bisher immer in mir spürte, ist nun weggebrochen. 
Du hast nie in meine wegweisenden Lebensentscheidungen reingeredet, auch wenn ich fühlte, dass Du mit einigen Dingen nicht einverstanden warst oder anders gehandelt hättest. Dafür bin ich Dir sehr dankbar. Du wolltest Dein Kind seinen Weg gehen lassen, so wie es eine Mutter auch tun sollte.  Bei einigen Dingen habe ich Dich absichtlich nicht nach Deiner Meinung gefragt, weil ich vorher wusste, was Du mir sagen würdest. Wir haben unsere gegenseitigen Lebensentwürfe stets akzeptiert, auch wenn uns dies gewiss nicht immer leicht fiel. 
Leider konntest Du Marie ❤️ nicht kennenlernen, weil das Treffen aus dubiosen Gründen ausgebremst wurde.
Sei froh, dass Du nun nicht mehr miterleben musst, wie mit mir umgegangen wird. All dies wäre mit Sicherheit nicht in Deinem Sinne gewesen. Ich habe, parallel zu Deinem Tod, während der letzten Jahre unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die dazu führten, dass das Ur-Vertrauen in mir zerstört wurde. Es gibt Menschen, die sich dafür schämen sollten, wie respektlos sie noch wenige Monate vor H.´s Tod mit Dir geredet haben. Du hattest sehr darunter gelitten, wie Du mir öfter am Telefon erzähltest. Sie hatten und haben offenbar keine Empathie, kein Schamgefühl. Aber Du wolltest einfach nur Dein Leben leben und die Zeit genießen. Dies kann ich sehr gut verstehen. 

Ich denke oft ans Meer, 
das Du nun 
mit Deinem einzigartigen Charakter 
bereicherst 
und von dem Du nun 
ein Teil geworden bist...