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Freitag, 22. Januar 2021

Eintrag 401

Als mein Vater 2 Mal starb

- Eine kritische Selbstreflexion-

Es ist nun schon 32 Jahre her, als mein Vater im Sommer 1989 an den organischen Folgen seiner schweren Alkohlsucht verstarb. 

Bis in die Gegenwart hinein verfolgt mich, in lĂ€ngeren ZeitabstĂ€nden, mein damals teenagerhaft bedingtes, unsensibles Verhalten vor seinem Tod. Obwohl sich aufgrund seines "Wasserbauches" und seiner Abgemagertheit bereits Monate vorher sein Tod sichtbar andeutete, fiel es mir nicht im Traum ein, sensibel zu sein und mich von ihm im Guten "zu verabschieden". 

RĂŒckblickend betrachtet resultierte mein damaliges Verhalten vermutlich aus einer Mischung aus Selbstschutz, VerdrĂ€ngung, Unkenntnis und Überforderung mit der Gegenwart. 

Das allgemeine Problem: Angehörige von Suchtkranken verhalten sich gegenĂŒber dem Suchtkranken oft hart und wenig verstĂ€ndnisvoll, weil das Verhalten des Kranken das Leben der Angehörigen dominiert. Eine Drogensucht (auch Alkohol) scheint aus naiver Sicht des Umfelds Ă€nderbar, wenn der Suchtkranke nur mit der Drogeneinnahme aufhört. Man gibt ihm quasi die "Schuld" an seiner Krankheit. Angehörige verhalten sich leider nicht selten so, als wĂ€re die Sucht selbst verschuldet. Bei ihnen schwingt der Gedanke und die leise Hoffnung mit, dass sich das Krankheitsbild nur durch eine "einfache" Verhaltensumstellung Ă€ndern ließe, also anders als bei einer organischen Erkrankung. So einfach ist das natĂŒrlich nicht, aber in diesen Haushalten spielen sich verschiedenste psychologische Prozesse ab, die individuell geprĂ€gt und oft wenig vergleichbar sind.

HĂ€tte mein Vater seine oft versprochene AnkĂŒndigung "Pascale, ich höre morgen mit dem Trinken auf" doch nur wahr gemacht! Er konnte das jedoch nicht umsetzen, weil die Sucht stĂ€rker war und seinen Willen brach. All das zu erkennen war mir damals als Jugendlicher nicht möglich. Mir fehlte die Reife zur Einsicht.

Mein Vater muss sich wĂ€hrend seiner letzten Lebensmonate sicher sehr allein gelassen und unverstanden gefĂŒhlt haben. WĂ€hrend dieser Zeit ist er fĂŒr sich allein gestorben und hat sich von seiner Umwelt auf seine Art verabschiedet. Er saß oft weinend und betrunken auf der Terrasse und hörte traurigen Schlager aus den 70Ă©rn. Seine SĂ€tze wie "Pascale, bald seid ihr mich los. Bald habt ihr vor mir Ruhe..." waren, rĂŒckblickend betrachtet, eine schallende Ohrfeige, die ich aber erst heute fĂŒhle. Wir wollten doch gar keine Ruhe vor ihm haben, wir wollten doch nur, dass er aufhört zu saufen und wir ein halbwegs normales Familienleben fĂŒhren können.

Wenige Tage vor seinem Tod brachten mich meine Eltern zu meiner Oma nach Peine in die Sommerferien. Mein Vater konnte wĂ€hrend dieser Zeit schon nicht mehr laufen, musste sich ĂŒberall abstĂŒtzen und konnte seine KörperflĂŒssigkeiten nicht mehr halten. Leider fiel mir als sein Sohn, der mit all diesen Dingen völlig ĂŒberfordert war, nur Hohn und Spott ein, um mit seinem tragischen Zustand umzugehen. Was fĂŒr ein Trauerspiel! Nach ein oder zwei Übernachtungen fuhren meine Eltern wieder nach Berlin zurĂŒck. Ich sah meinen Vater zum letzten Mal, als er ins Auto stieg. Ein von mir gewĂŒnschtes Telefonat war nicht mehr möglich, weil er wenige Tage danach in ein DĂ€mmerschlaf und dann ins Koma fiel. Eine Nacht spĂ€ter verstarb er im Neuköllner-Krankenhaus.

Es beruhigt mich wenig mir selbst einzugestehen, das ich es damals eben nicht besser wusste und mich deswegen komisch verhielt. Ich muss einrĂ€umen, dass seine Sucht stĂ€rker war als unser Familienzusammenhalt. Jeder ging bereits Anfang der 80Ă©r Jahre seine eigenen Wege, ein Familienleben fand nur noch als Kulisse statt. Und ich muss weiter einrĂ€umen: Das Bier hat gewonnen und ihn unter die Erde gezogen. Mit seinem Fortgang kam die Vaterlosigkeit, unter der ich viele Jahre litt. 

Geschrieben im Dezember 2020

2 Kommentare:

  1. Das ist eine sehr traumatische Erfahrung, mit der Du wahrscheinlich Dein Leben lang versuchen musst zu leben. Sicherlich hĂ€tte es auch damals schon Wege geben können, mit den Begebenheiten besser umgehen und alles besser verstehen zu können. Aber in dieser Ohnmacht in der man als Angehörige versucht irgendwie einen normalen Tagesablauf zu praktizieren, fĂ€llt das naheliegende, also professionelle Hilfe mit ins Boot zu holen, meistens hinten runter. Heute werden Familien von Suchtkranken unterschiedlicher Genres oft psychologisch mitbetreut und ich finde das sehr wichtig. Mach Dir bitte keine VorwĂŒrfe, ich bin mir sicher, das Dein Papa, auch wenn Du sicherlich nicht immer adĂ€quat reagiert und gehandelt hast, sehr stolz auf Dich und Deine Schwester ist. Und nichts anderes solltest Du Dir einreden!

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  2. Ja, ich werde wohl ein Leben lang damit leben mĂŒssen. Das ist leider so, aber ich werde das schaffen.
    Wichtiger ist die Gegenwart und besonders der Moment❤️
    Danke fĂŒr Deine Sichtweisen, die stets sehr aufschlussreich sind und neue Perspektiven
    bieten.
    Kuss vom Hasen😘

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