Eintrag 644

Die Schönheit liegt oft in den einfachen Dingen...

Die Natur hat den Menschen so viel Schönheit geschenkt, die einsam am Wegesrand steht und verblüht. Um die Eleganz zu entdecken, zwingt sie den Menschen dazu achtsam zu sein. Wer nicht achtsam ist, der wird die farbenfrohen Formen nicht sehen. Dabei strahlen die kunterbunten Gebilde so sehr ins Auge, dass sie Blindheit erzeugen. Die Schönheit lächelt uns beim Anblick von Bäumen, Blättern, Gräsern, Flüssen oder Steinen förmlich an.

Die Blindheit hört auf, wenn wir kurz stehenbleiben und unseren Blick für einen Moment nicht auf unseren Alltag mit seinen fließenden Gedanken richten. Heben wir ein Blatt auf und halten es gegen die Sonne. Nehmen wir einen Stein in die Hand und fühlen seine Ecken, Kanten oder Rundungen. Laufen wir Barfuß im Gras oder fühlen mit den Händen oder Füßen das kalte Nass am Ufer eines Gewässers. Nur so können wir für einen kurzen Augenblick eins werden mit der Natur und spüren, woher wir kommen. In diesem Moment erleben wir den Fluss der Gegenwart, denn wir verschmelzen mit unseren Gefühlen, der Materie und der Zeit.

Jede Jahreszeit enthält ein frohes und einzigartiges Farbenspiel als Geschenk für uns bereit, in jedem Jahr wieder. Dieses Geschenk zu öffnen und anzunehmen bedeutet, seinen Blick zu weiten und die Möglichkeit zuzulassen, seine Sinne weiterzuentwickeln. 

Manchmal beneide ich die Kinder, die genau all das erleben und sich dem Detail widmen. Sie sind sich nicht zu schade, Blätter oder Steine aufzuheben und zu begutachten. Der Erwachsene hat all das offenkündig nicht mehr nötig. Kinder laufen Barfuß über Gräser und plantschen in Pfützen herum. Dadurch lassen sie neue Eindrücke auf sich wirken und lernen durch das Spielen neue Dinge hinzu. Haben wir den Mut, im Park oder im Wald die Schönheit der Natur zu erleben und der Blindheit des Alltags für einen Moment zu entkommen...

PS: Das Foto entstand im Herbst 2019 bei einem Spaziergang mit Leonard im Park des Oberen Schlosses in Siegen.