Ticker

🐰❤️🐌 = P.❤️M.

Sonntag, 13. November 2022

Eintrag 615

Ein bisschen Ich. 
Teil 33. 
Alkoholiker in meinem Leben

In der Beschreibung der folgenden Problematik nenne ich, so wie immer, keine Namen. Ich erwähne auch nicht, in welchen persönlichen Verhältnissen ich zu diesen Personen stand (Ausnahme: Mein verstorbener Vater). Das Ziel dieses Eintrags ist es lediglich, das von mir Erlebte zu reflektieren.

In meinem Leben lernte ich in verschiedenen Zusammenhängen einige Menschen kennen, die dem Alkohol stark zugeneigt waren. Mindestens 4 von ihnen haben jedoch vermutlich die Grenze zum Alkoholiker kilometerweit überschritten. Bei näherer Betrachtung weisen sie alle gemeinsame Verhaltensmerkmale auf, die ich hier näher beleuchten werde. In diesem Eintrag schildere ich sowohl die Verhaltensmuster der Trinker als auch die daraus resultierenden Reaktionen von mir. Meine Gedanken fassen ausschließlich die gemeinsamen Merkmale dieser Menschen zusammen und bringen mein Dilemma zum Ausdruck, das mich mit diesen Charakteren in Verbindung brachte.

Das ganze Übel begann bereits vor weit über 40 Jahren, als ich ein kleiner Junge war. Leider entwickelte ich in meiner frühen Kindheit eine "Co-Abhängigkeit" gegenüber alkoholkranken Menschen, die aus dem Alkoholismus meines Vaters heraus entstand. Meine "Abhängigkeit" bestand darin, dass sich mein Verhalten seiner Sucht anpasste. Mein kindliches Gewissen sorgte dafür, dass ihm nichts zustieß, also trug ich ihn beispielsweise öfter aus der Kneipe nach Hause oder deckte ihn zu, wenn er auf dem Teppich im Wohnzimmer schlief. Darüber hinaus musste ich seine Launen und bizarren Handlungen ertragen. Die Auswirkungen seiner Sucht übertrugen sich somit auf mich.

Ganz allgemein formuliert: Suchtkranke sind meistens uneinsichtig und benehmen sich gegenüber ihrer Umwelt, wenn sie ihr Suchtmittel eingenommen haben (hier der Alkohol), teilweise unmöglich. Ob nüchtern oder blau, viele Alkoholiker betragen sich phasenweise blamabel und unverschämt. Sie bemerken das aber nicht mehr, da sie der Alkohol zu tief in ihren Bann gezogen hat. Um dieses peinliche Verhalten im Keim zu ersticken, versuchen Menschen aus dem Umfeld (also Angehörige, Freunde, Familie usw.) die Verantwortung gegenüber dem Suchtkranken zu übernehmen. Die Sucht des Abhängigen beginnt fortan das Leben des Umfeldes zu dominieren. Nach außen hin tabuisieren sie die Krankheit des Abhängigen, mit dem sie in einem Verhältnis stehen (Mutter, Vater, Partner, Freund...), um ihn vor Unannehmlichkeiten zu schützen. 

Der Co-Abhängige entwickelt im Laufe der Zeit eine übertriebene Helferrolle, in dem er beispielsweise für den Trinker lügt oder das Ausmaß eines Exzesses tabuisiert/schön redet, um ihn vor peinlichen Situationen zu schützen. Er tut fast alles dafür, um das oft jähzornige Gemüt, das im Suff entsteht, zu besänftigen. Der Alkoholiker nimmt das ihn gegenüber schützende Verhalten des Co-Abhängigen als selbstverständlich hin und merkt nicht, dass seine Sucht dem ganzen Umfeld schweren Schaden zufügen kann.

1. Gemeinsamkeit:

Der Auslöser eines Saufexzesses nahm oftmals seinen Ursprung in einer vermeintlich "stressigen" Situation. Mit dem berühmten "Feierabendbier" sollten Erlebnisse des Arbeitstages bewältigt werden, die subjektiv als belastend empfunden wurden. Der Anlass, die erste Flasche Bier zu öffnen, konnte aber auch ein banales Telefonat oder eine harmlose Alltagssituation sein, mit dem die Trinker nicht zurechtkamen. Ein Grund zum Saufen fand sich immer.

Meine Reaktion: Ich versuchte nicht selten den sich anbahnenden Saufexzess zu unterbinden (was mir nicht oft gelang) und machte mich damit zur Zielscheibe für den Zorn der Trinker. Sanftmütig redete ich auf die Alkoholiker ein oder versuchte das alkoholische Getränk in ein nicht alkoholisches Getränk zu wechseln. Sie verhielten sich oft so, als würde man einem Säugling den Schnuller wegnehmen. 

2. Gemeinsamkeit:

Waren die ersten 2-3 Biere/Weine/Schnäpse im Schlund versunken, gab es meistens kein Halten mehr. Es gelang ihnen dann nicht für viele Stunden mit dem Trinken aufzuhören. Der Alkohol wandelte den jeweiligen Trinker in seine Marionette um, ohne das er es wahrgenommen hatte. Ein Saufexzess zog sich gelegentlich bis weit in den nächsten Tag hinein. Das "nicht aufhören können" bzw. häufige Trinken bis in den nächsten Tag hinein, ist für mich ein eindeutiges Zeichen, dass hier eine Suchterkrankung vorliegt.

Meine Reaktion: Auch in diesem Stadium war ich meist noch bemüht, den Trinker davon zu überzeugen, den Abend mit ein paar alkoholischen Getränken ausklingen zu lassen.

3. Gemeinsamkeit:

Alle Trinker waren ab einem gewissen "Pegel" anmaßend, streitlustig und peinlich. Sie fühlten sich überheblich und besonders schlau. Oftmals reichte in einer geselligen Runde eine harmlose Bemerkung, die der Trinker falsch verstanden hatte, aus, und der Abend war gelaufen. Wenn die Stimmung kippte, stand er im Mittelpunkt des Geschehens, was er entweder gar nicht mehr merkte oder sichtlich genoss. 

Meine Reaktion: Wenn wir unterwegs waren, versuchte ich die Trinker nach Hause/in ihr Bett zu bringen, was aber sehr lange dauerte. Sie fielen entweder ins Gebüsch (wie mein Vater), setzten sich ewig auf den Bordstein oder man musste sie zu zweit in ein Taxi tragen, was sie am anderen Tag natürlich vergessen hatten. Da diese Dinge nicht nur ein oder zwei Mal vorkamen, sondern viel häufiger, ist davon auszugehen, dass diese Personen zum Patienten-Kreis der Alkoholiker zu zählen sind.

4. Gemeinsamkeit:

Sämtliche Alkoholiker stritten ihre Sucht ab und wurden zänkisch, wenn man das Thema ansprach. Obwohl sie zwischen einer großen Menge aus leeren Bier-, Wein-, und/oder Schnapsflaschen saßen und häufig im Monat viel Alkohol tranken, kamen sie gar nicht auf die Idee, dass sie sich selbst und ihrem Umfeld schweren Schaden zufügen könnten. Meistens zogen sie alles ins Lächerliche, denn sie fühlten sich sowieso besonders schlau, alle anderen waren aus ihrer vernebelten Perspektive heraus meistens im Unrecht und dämlich. Der eigene Schaden besteht bekanntlich aus dem körperlichen Schaden, den der Alkohol über die Jahre hervorruft. 

Die Auswirkungen auf Personen des Umfelds bestehen darin, dass sie die negativen Verhaltensweisen des Alkoholikers ertragen und ihr eigenes Verhalten in jeder Situation des Trinkens anpassen müssen. Viele Trinker sind ab einem gewissen "Pegel" unberechenbar und das Umfeld möchte natürlich, dass die Lage ruhig bleibt. Und dieses "sich zurücknehmen müssen, damit die Lage nicht eskaliert" ist sehr anstrengend und reine Lebenszeitverschwendung.

Meine Reaktion: Mein "Fehler" war es, den Alkoholikern nicht klarer und deutlicher die Grenzen aufzuzeigen. Bei mir schwang immer die Hoffnung mit, dass die Sauferei irgendwann mal endet. Hierzu bedarf es jedoch professioneller Hilfe, wofür die Einsicht zum Handeln als Voraussetzung notwendig ist. Bei allen Trinkern war hier aber Fehlanzeige. 

5. Gemeinsamkeit:

Die Tabuisierung aus dem Umfeld. Obwohl vielen Menschen aus dem Umfeld der Trinker die Sucht bekannt war und man sich darüber aufregte, waren alle Beteiligten froh ihre Ruhe nach einem Saufabend zu haben. Wie Mehltau legte sich der Schleier der Tabuisierung über die offenkundige Sucht. Für den Trinker wird gelogen, bis sich die Balken biegen, weil man ihn schützen möchte. Nach außen hin werden Situationen schön geredet oder gar nicht erst erwähnt. Selbst das eigene Leid, welches das Umfeld empfindet, wird meistens verschwiegen.

Meine Reaktion: Leider tabuisierte ich die Umstände zu lange mit, um den uneinsichtigen Suchtkranken und mich zu schützen. Das Problem des Trinkers wurde jedoch zu meinem Problem und das ist nicht gut! Der Alkoholiker muss seine Krankheit allein erkennen. Ein Umfeld, das die Dinge schön redet oder ignoriert, hindert ihn jedoch daran. Eine klare Ansage gegenüber dem Trinker oder ein unmittelbarer Kontaktabbruch von meiner Seite aus, wäre hier besser gewesen. 

6. Gemeinsamkeit:

Die übertriebene Ich-Bezogenheit. Ein weiteres, sehr auffälliges Merkmal war die Übertreibung der Fokussierung von Dialogen auf das eigene Ich. Viele Dialoge werteten die Trinker negativ und sie rückten sich somit in den Mittelpunkt des Geschehens. Sie fühlten sich als Nabel des Universums, alle Menschen müssen nun auf ihre Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Auch wenn man versuchte, Äußerungen so zu erklären, wie sie eigentlich gemeint waren, half das nichts. Harmlose Sätze wurden offenbar durch eine Lupe betrachtet und wirkten somit übergroß. 

Meine Reaktion: Ich versuchte stets die Situation zu beruhigen, doch das gelang mir nur selten. Die Trinker befanden sich ihrer Meinung nach im Recht, auch wenn dies schon abstruse Züge annahm. All das Beschriebene änderte aber nichts mehr daran, dass mich ihr Suchtverhalten über die Zeit so sehr anwiderte, dass ich keine Lust mehr hatte, sie in meiner Gegenwart zu ertragen.

Abschlussbemerkungen

Es gibt hin und wieder Abende, an denen auch ich gern ein paar Bier trinke. Ich trinke jedoch (über das Jahr gerechnet) nicht viel und kann an einem Abend ganz schnell damit aufhören. Wenn ich ein Bier oder Wein zu mir nehme, dann "genieße" ich das Getränk und schütte es nicht meinen Schlund hinunter, als wäre es Wasser in der Wüste. 

Sämtliche Trinker haben nicht erkannt, dass ich ihnen eigentlich nur helfen wollte. Ich erlebte von ihnen keine Dankbarkeit, obwohl ich mich, so gut es mir möglich war, um sie "gekümmert" habe. Als ich ihnen helfen wollte, in kleinen Schritten vom Suff loszukommen oder nur mal über ihren krankhaften Dauerzustand nachzudenken, erlebte ich meist Jähzorn und Uneinsichtigkeit. Ich habe sehr oft versucht mit nicht-alkoholischen Getränken die Trinker abzulenken und dafür zu sorgen, dass sie mal nicht anfangen zu saufen. Die Suchtkranken erinnerten sich am nächsten Tag oft nicht an ihr bizarres Verhalten, denn sie verdrängten es oder hatten "Filmrisse". 

Ich bin froh, dass diese Menschen keine Rolle mehr in meinem Leben spielen. Mein Vater war einer der Trinker, der an den Folgen des Alkoholkonsum qualvoll verreckte. Am Ende strömte aus sämtlichen Körperöffnungen das Blut heraus, weil seine krankhafte Leber einen Blutrückstau im Körper verursachte. Leider konnte ich ihn nie richtig kennenlernen. Der Alkoholismus ist eine schwere Erkrankung, die nach vielen Jahren tödlich verlaufen und einen geliebten Angehörigen "wegnehmen" kann.

Ich hätte den Kontakt zu den anderen Trinkern viel früher abbrechen müssen, um mich vor den negativen Folgen des Suchtverhaltens effektiver zu schützen. Keiner dieser Trinker hat sich bei mir für sein unverschämtes Verhalten entschuldigt. Rückblickend betrachtet war die Zeit, die ich mit der Sauferei dieser Menschen verbracht habe, reine Lebenszeitverschwendung.

PS: Wer all das hier Geschriebene ins Lächerliche zieht, der versteht mich als Mensch nicht und sollte sich die Frage stellen, ob er entweder unempathisch ist oder selbst unter einer Suchterkrankung leidet.