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Samstag, 2. Mai 2020

Eintrag 303

Zynismus auf vielen Seiten:
"Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr 
sowieso tot wären..."

Ein Oberbürgermeister einer Stadt hat das auf den Punkt gebracht, was viele Menschen im Land innerlich denken mögen: "Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären..."


Zynisch betrachtet scheint es bei einigen Menschen im Laufe der Krise auf ein paar Alte mehr oder weniger nicht mehr anzukommen. Bei allem Verständnis für die wirtschaftliche Not, welche die harten Maßnahmen bewirken, aber wenn wir jetzt solche Argumente bringen, um den Lockdown wieder aufzuheben, dann wird mir Angst und Bange, was die Bewertung von Menschenleben betrifft. Warum fordert der Oberbürgermeister nicht gleich, dass den alten und vorerkrankten Menschen der Arztbesuch untersagt wird, denn es lohnt sich ja eh nicht mehr? Nach massivem innerparteilichen Druck hat sich dieser Mann für seine Äußerung entschuldigt.

Ins Feld führt er das Argument, dass der Lockdown und die darauf folgende Wirtschaftskrise weltweit viele Kinder sterben lassen könnte, besonders in den ärmeren Ländern. Was hat jedoch die Kindersterblichkeit in den armen Ländern mit einem 70-jährigen Corona-Patienten zu tun? Diese Frage war auch Thema in der Sendung "Markus Lanz". Epidemiologe und SPD-Mann Karl Lauterbauch erwidert dem Oberbürgermeister in der Sendung "Jetzt auf einmal, wo wir die Alten wegsperren sollen, erinnern wir uns an die Kinder in Afrika..." So sehe ich das auch.


Die in der Öffentlichkeit voll entbrannte Kosten-Nutzen-Debatte bezüglich des Lockdowns (und den wirtschaftlichen Folgen) mit dem Leben, das man retten könnte, kritisiert Wofgang Thierse. Dies führe zur Selektion von mehr oder weniger lebenswerten Leben und stehe entgegen dem humanistischen Bild, welches unsere Gesellschaft prägt. Und die Politik unter immer größeren Druck zu setzen, könnte zu weitreichenden Fehlern führen:


Offenbar fehlen in Deutschland die Leichenberge wie in den USA, Spanien, Italien und GB, um Vernunft einkehren zu lassen. Glaubt ihr, bei 20.000 Toten innerhalb von 6 Wochen hätten wir diese Lockerungsdebatte? Wir haben inzwischen auch fast 7000 Tote, zwar zeitverzögert, aber tot ist tot. In Deutschland scheint sich die "Sterbewelle" etwas nach hinten hinauszuziehen, aber macht es die Sache besser? Außerdem gibt es Hinweise, dass inzwischen viel mehr Menschen in Deutschland durch oder mit dem Corona-Virus gestorben sein könnten, als bisher bekannt. Starben viele Menschen zuhause an Corona? Eine Pandemie ist keine Grippewelle, weil sie länger andauert. Die Leichenberge wird man erst in einigen Monaten gegeneinander aufrechnen können.


Sehr bedenklich finde ich auch die Corona-Toten ständig in irgendein Verhältnis zu setzten. Kein Mensch käme auf die Idee z.B. 15 Tote eines Terroranschlags ins Verhältnis zur einem anderen Groß-Ereignis zu setzen, um die errechnete Quote klein und lächerlich zu machen. 

Angenommen, die fast 7000 Corona-Toten in Deutschland wären nicht am Virus gestorben, sondern durch kleine permanente Terroranschläge. Was wäre hier wohl los in Deutschland! Stellt Euch vor, seit März würden kleine Terrormilizen im Land jeden Tag 50-200 Menschen wahlweise umbringen. Glaubt ihr wirklich, es wäre hier in Deutschland noch so entspannt (wie jetzt) und wir redeten über Shopping und Lockerungen? Wohl kaum. 

Angenommen, das Virus würde sich vermehrt auf Kinder und Jugendliche stürzen und weniger auf Alte und Vorerkrankte. Stellt Euch vor, von den fast 7000 Toten bestünde der überwiegende Teil aus Babys und Kinder. Was wäre hier wohl los in Deutschland! 

Sterben also die "Falschen", um diese Corona-Maßnahmen weiterhin ernst zu nehmen? So manche Äußerung, die ich täglich so lese und höre, finde ich moralisch äußerst bedenklich. Aus meiner Sicht gilt es jedes Ereignis, bei dem Menschen sterben (Krieg, Terror, Pandemie usw.), für sich zu betrachten. Die Trauer in den Familien ist bei einem Terroranschlag genauso groß wie bei Corona oder einem Flugzeugabsturz. Aus meiner Sicht hat der Staat die Pflicht die Menschenleben seiner Bürger (egal welches Alter) solange bestmöglich zu schützen, bis eine permanente Gefahr gering wird (Medikament oder Impfstoff vorhanden).

Schließen möchte ich mit den Worten von Professor Dr. Drosten: 

"Die derzeitige Situation in Deutschland beschrieb Drosten als "Präventionsparadox": Mit frühzeitigen Maßnahmen und umfangreichen Corona-Tests habe man die Ausbreitung des Virus hierzulande erfolgreich eingedämmt. Aber jetzt werde der im internationalen Vergleich milde Pandemie-Verlauf irrtümlich als Argument dafür genutzt, die Maßnahmen rückblickend als übertrieben zu bewerten. "Die Menschen behaupten, wir hätten überreagiert", sagte Drosten. Dabei sei Deutschland gerade wegen der ergriffenen Maßnahmen bislang glimpflich davongekommen"