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Donnerstag, 10. Juni 2021

Eintrag 448

Meine 1. Studenten-WG
-Eine verhÀngnisvolle Begegnung-

Als ich Ende der 90Ă©r Jahre Berlin verließ, um mit meinem Fachabitur an der "UniversitĂ€t Siegen" den Diplom-Studiengang "Volkswirtschaftslehre" zu studieren (spĂ€ter Wechsel zu BWL), zog ich fĂŒr viele Jahre in eine 4Ă©r-WG eines Studentenwohnheims.

Wie das in Studentenwohnheimen so ĂŒblich ist, findet gelegentlich eine personelle Rotation in einer Wohngemeinschaft statt. Relativ am Anfang meiner Studienzeit zog mein Mitbewohner X (Name geĂ€ndert) zu uns ein. 

Jede Wohngemeinschaft hat aufgrund der Charaktere der Mitbewohner ein unterschiedliches GemeinschaftsgefĂŒhl. Es gibt WG´s, in denen jeder Mitbewohner sein eigenes Ding macht und die Gemeinschaft sehr locker ist. Und dann gibt es WG´s, wie meine damalige, in der sich eine enge Gemeinschaft entwickelt. 

Als X. zu uns einzog, sollte sich mein Leben fĂŒr einige Semester in eine negative Richtung entwickeln, wie mir jedoch erst spĂ€ter bewusst wurde. Auf der einen Seite war er sehr hilfsbereit und loyal, was mir anfangs sehr imponierte. Auf der anderen Seite entpuppte er sich, im Laufe der Monate, in gewissen Situationen zu einem sehr jĂ€hzornigen Menschen.

Mein Mitbewohner schien tiefsitzende psychische Probleme zu haben, die im Suff vulkanartig ausbrachen. Er fĂŒhlte sich in lapidaren Situationen schnell verraten und beleidigt. Auf Studenten-Partys reichten ein paar harmlose Scherze aus, um sein Ego fĂŒr den Rest des Abends vollkommen zu zerstören, denn er bezog alles sofort auf sich. Plötzlich verschwand er von einer Feier und demolierte irgendwo irgendwelche GegenstĂ€nde, die ihm in den Weg kamen. 

X. löste in mir einen tiefsitzenden Konflikt aus, wie sich erst spĂ€ter zeigte. Aufgrund meiner frĂŒhkindlichen Erfahrungen mit dem schweren Alkoholismus meines Vaters neige ich leider dazu gegenĂŒber Alkoholikern, die ich gut kenne, weitestgehend loyal zu sein (bis zu einem gewissen Punkt!!!) und sie gegenĂŒber anderen verbal zu verteidigen. 

Andere Wohnheimbewohner erlebten ihn auch hier und dort in seinen WutanfĂ€llen, was im Laufe der Zeit dazu fĂŒhrte, dass es in gewissen Gremien Beschwerden ĂŒber ihn gab. Da ich ihn mochte und er in mir, ungewollt, diesen "BeschĂŒtzer-Zwang" auslöste, trat meine diplomatische Ader zum Vorschein. In unzĂ€hligen EinzelgesprĂ€chen versuchte ich sein Verhalten zu entschuldigen und ja, auch manchmal schön zu reden. 

Das sehr starke GemeinschaftsgefĂŒhl meiner WG war nicht förderlich. Ein Schleier der Tabuisierung legte sich wie Mehltau ĂŒber die Wahrheit. Es wĂ€re besser gewesen ihm zu sagen, dass er schwere Probleme hat und er bitte sein Verhalten Ă€ndern möge. Vielleicht wĂ€re noch die Bemerkung angebracht gewesen, dass eine WG kein Ort ist, um seine Sucht auszuleben. Aber wir, seine 3 Mitbewohner/Mitbewohnerinnen, spielten alle Theater. Wir spielten uns gegenseitig etwas vor, ohne es zu merken. Unsere (unbewusste) Strategie war es, den "Tyrann" zu besĂ€nftigen, in dem man es ihm Recht macht. Wir alle waren eher konfliktscheu und wollten die Harmonie. Was wir nicht merkten war die Tatsache, dass man damit ein Fehlverhalten nicht nur nicht Ă€ndert, sondern eher fördert!

Seine Ausraster waren nicht hĂ€ufig, aber darauf kam es nicht an. Im Laufe der Zeit bekam er ein befristetes Hausverbot in einer Studentenkneipe und auf Studentenpartys wurde er kaum noch eingeladen. X. wurde zu einer Person, die man lieber mied. Zwischenzeitlich hatte ich das GefĂŒhl, dass er sich in dieser "Opferrolle" sehr wohlgefĂŒhlte, denn nun konnte er mit Witzen gegenĂŒber anderen Wohnheimbewohnern lĂ€stern. Erst meine intensiven GesprĂ€che mit wichtigen EntscheidungstrĂ€gern innerhalb des Wohnheims fĂŒhrten wieder zu einer leicht entspannteren Situation zwischen X. und einigen Mitbewohnern des Wohnheims. Eine WG-Mitbewohnerin fand die gemeinschaftlichen Strukturen auch nicht mehr so toll und zog nach ein paar Monaten aus.

Da ich mich gedanklich fast nur noch mit diesem Konflikt beschĂ€ftigte, litt meine Psyche und mein Studium darunter. Dieser Klamauk hat mich sicher 3-4 Semester meiner Studienzeit gekostet. Aufgrund der starken WG-Gemeinschaft fĂŒhlte ich mich stĂ€ndig gezwungen mitzufeiern, obwohl ich nicht mitfeiern wollte. Und wenn ich es einmal wagte in einer WG-internen Runde um 23.00 ins Bett zu gehen anstatt morgens um 07.00, dann hörte ich LĂ€stereien ĂŒber mich in der KĂŒche ("Spielverderber..."). Sie machten sich stĂ€ndig ĂŒber Leute lustig, die ich mochte und fĂŒhlten sich ĂŒberlegen. 

Niemand schien zu merken, dass ich litt. Niemand schien zu merken, dass ich all das gar nicht mehr wollte. Ich konnte nicht ich selbst sein, weil ich mich stĂ€ndig anpassen musste und auf meine WĂŒnsche keine RĂŒcksicht genommen wurde. Ich bin sehr gern Teil einer Gemeinschaft, möchte mich anpassen und in einer Gemeinschaft einbringen. Wenn ich mich aber nur noch anpassen muss, um zu gefallen, dann stimmt irgendetwas nicht mehr! Wenn ich nicht mehr so genommen werde, wie ich bin und niemand fragt, wie es mir geht, dann fĂŒhle ich mich nicht mehr als Teil einer Gemeinschaft.

Nach ein paar Semestern hatte ich eine feste Freundin aus einem anderen Studentenwohnheim. Sie merkte schnell, dass es Probleme in meiner WG gab. Ich habe mich ihr anvertraut und sie hat mich in meinem Vorhaben, die WG zu wechseln, emotional unterstĂŒtzt. Aufgrund meiner hĂ€ufigeren Abwesenheit schwappte mir völliges UnverstĂ€ndnis von meinen WG-Mitbewohnern entgegen, weil ich ja durch meine Abwesenheit die Gemeinschaft "verriet". Meine WG und ich lebten uns immer weiter auseinander und ich war nur noch selten in meinem WG-Zimmer. 

Ein guter Freund von mir, der in einer anderen WG wohnte, wollte 2 Auslandssemester in Kanada absolvieren. Er bot mir an sein Zimmer fĂŒr mich frei zu machen. Es gab ein kurzes VorstellungsgesprĂ€ch mit den Mitbewohnern seiner WG (bzw. meiner neuen WG) und plötzlich ging alles sehr schnell. Ein kurzer Anruf beim Vermieter des Studentenwohnheims lĂ€utete den schnellen Abgang aus meiner alten WG ein.

Da dieser Konflikt mit X. auch einen alten Konflikt in mir auslöste (Suff meines Vaters), entschied ich mich fĂŒr eine professionelle Beratung bzw. Aufarbeitung. Kurz nach dem Umzug in meine neue WG machte ich eine kurze Therapie, die mir half, Muster zu erkennen und mir Wege aufzuzeigen, wie ich diese Probleme allgemein lösen kann. Im Endeffekt fĂŒhrt frĂŒher oder spĂ€ter kein Weg daran vorbei sich von Alkoholikern bzw. verhaltensauffĂ€lligen Menschen zu trennen, bevor ihr bizarres und abstruses Verhalten das eigene Leben zerstört!

In meiner neuen WG fand ich schnell Anschluss und nach einigen Wochen gewann ich zunehmend gedanklichen Abstand von meiner alten WG. In dem kleinen Siegener Campus blieb es jedoch nicht aus, dass ich meine Ex-Mitbewohner wieder traf. Die Begegnungen waren neutral, höflich und kurz. 

Jeder Mitbewohner meiner alten WG war fĂŒr sich genommen wirklich sehr nett, aber die Gesamtkonstellation war sehr unpassend. 

-Fazit-

Der hemmungslose Egoismus von suchtkranken Menschen 
ist fĂŒr das Umfeld emotional zerstörend. 
Das Umfeld tabuisiert meistens die VorfĂ€lle, 
weil der Suchtkranke besĂ€nftigt werden soll. 
Diese (unbewusste) Verhaltensstrategie ist im Grunde ein schwerer Fehler, 
weil sich der Trinker nur bestĂ€tigt fĂŒhlt, nichts in seinem Leben Ă€ndern zu mĂŒssen. 
Es ist unheimlich schwer verhĂ€ngnisvolle Muster zu erkennen und ihnen zu entkommen. 
Im Laufe meines Lebens habe ich gelernt konsequent zu sein. 
Auch wenn ich anfangs etwas naiv wirken möge, 
aber irgendwann packe ich meine Koffer 
und bin weg!

2 Kommentare:

  1. 'Daher war es der richtige Weg, vor zwei Jahren die Reißleine zu ziehen. Sicherlich ist LoyalitĂ€t eine gute Eigenschaft, aber es muss im Rahmen bleiben. Niemand muss irgendetwas aushalten, damit Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Freundschaften und Partnerschaften sollten ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein, mal mehr, mal weniger, aber dennoch in einem ausgewogenen VerhĂ€ltnis stehen. Alles andere ist pathologisch und tut nicht gut. Es tut gut, wenn ein Freund (ich Gender jetzt mal nicht) oder ein Partnereinfach auch mal zu hören kann und auch mal Dinge „hört“, die nicht direkt ausgesprochen werden. Da muss ich an das Kinderbuch „Momo“ denken……….
    “Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.
    Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fĂŒhlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten.
    Sie konnte so zuhören, dass ratlose und unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass SchĂŒchterne sich plötzlich frei und mutig fĂŒhlten. Oder dass UnglĂŒckliche und BedrĂŒckte zuversichtlich und froh wurden.
    So konnte Momo zuhören!
    Einmal brachte ihr ein kleiner Junge seinen Kanarienvogel, der nicht singen wollte. Das war eine viel schwerere Aufgabe fĂŒr Momo. Sie musste ihm eine ganze Woche lang zuhören, bis er endlich wieder zu trillern und zu jubilieren begann.
    Momo hörte allen zu, den Hunden und den Katzen, den Grillen und Kröten, ja sogar dem Regen und dem Wind in den BĂ€umen. Und alles sprach zu ihr auf seine Weise. An manchen Abenden, wenn alle ihre Freunde nach Hause gegangen waren, saß sie noch lange allein in dem großen steinernen Rund des alten Theaters, ĂŒber dem sich der sternenfunkelnde Himmel wölbte, und lauschte einfach auf die große Stille. Dann kam es ihr so vor, als sĂ€ĂŸe sie mitten in einer großen Ohrmuschel, die in die Sternenwelt hinaushorchte. Und es war ihr, als höre sie eine leise und doch gewaltige Musik, die ihr ganz seltsam zu Herzen ging. In solchen NĂ€chten hatte sie immer besonders schöne TrĂ€ume.
    Michael Ende
    Zuhören ist eine Kunst in sich. Wenn wir mit einem ruhigen und konzentrierten Geist zuhören, dann wird es möglich, dass wir wirklich eingehen können auf das, was die Worte sagen. Manchmal verstehen wir dann plötzlich und unerwartet etwas auf eine sehr tiefe Weise..“


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  2. Sehr schöne und interessante Gedanken vor Dir😘

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