Wenn das Bier dein bester Freund wird,
dann gehst Du leise unter
-Meine Erfahrungen als Angehöriger, Freund oder Bekannter-
(Fortsetzung meines Eintrags 401)
Im Laufe meines Lebens hatte ich einige Erfahrungen mit alkoholkranken oder -gefĂ€hrdeten Personen. Dieser Eintrag ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein persönlicher und gefilterter Erfahrungsbericht ohne Nennung von Namen oder Ăhnlichem. Die einzige namentliche ErwĂ€hnung ist mein Vater. Ich werde schildern, warum ich oft nicht der Pascale sein konnte, der ich eigentlich bin.
Zuerst zu meinem Konsum: Ich wĂŒrde meinen Alkoholkonsum (im Jahresschnitt) als mĂ€Ăig bis gering einstufen. Es gibt Abende, an denen ich schon Lust auf ein paar Bier etc. habe und diese auch genieĂe. Ich habe jedoch nicht das Verlangen danach mir mehrmals im Monat die "Kante" zu geben. Ich kann nach einem schönen Abend ein Ende finden und ins Bett gehen. Ich wĂŒrde mich als einen reinen Genuss-"Konsumenten" bezeichnen, der auch mal, wie jetzt aktuell, mehrere Monate gar nichts (!!!) trinken kann. Mein letztes Bier war irgendwann im SpĂ€tsommer 2020 (den Zeitpunkt weiĂ ich gar nicht mehr so genau) mit meiner Freundin in einem Restaurant.
Einen kleinen Einblick ĂŒber die GefĂ€hrlichkeit dieser Krankheit (ja, es ist eine schwere Krankheit !!!) und die Vielschichtigkeit des Themas gibt folgende Quelle:
https://www.klinik-friedenweiler.de/blog/ab-wann-ist-man-alkoholiker/
Ich habe in meinem Leben einige Menschen kennengelernt, die in diese Kategorie des Erkrankten hineinpassen oder kurz davor sind. Obwohl sich diese Personen in unterschiedlichen Altersklassen befinden, habe ich eine Beobachtung gemacht, die ein gemeinsames Merkmal aufweist: Die Stimmungsschwankung!
Es gibt Menschen, die haben in einem alkoholisierten Zustand eine Tendenz zu einer "festen" Stimmung, wie z.B. Geselligkeit, Fröhlichkeit, JÀhzornigkeit, AggressivitÀt, SentimentalitÀt, Traurigkeit, die Suche nach NÀhe oder Selbstmitleid.
Und dann gibt es Menschen, die können an einem Abend durch einige dieser genannten Stimmungen hin und her schwanken. In den meisten FĂ€llen reicht ein banaler Satz oder eine harmlose Situation aus, die der Betrunkene auf sich bezieht und die Stimmung dann kippen lĂ€sst. FĂŒr die Anwesenden einer geselligen Runde wirken diese radikalen VerhaltensĂ€nderungen bizarr. Oftmals reicht es auch nicht aus, auf den Betrunkenen gut einzureden. Dieser fĂŒhlt sich, warum auch immer, bestĂ€tigt und nicht selten nimmt ein Abend, der schön begann, einen unschönen Verlauf.
So eine Stimmungsschwankung sagt zunĂ€chst nichts darĂŒber aus, ob ein Mensch alkoholabhĂ€ngig ist. Auch Leute, die sich nur einmal im Jahr auf einem Fest betrinken, können jĂ€hzornig werden. Es macht fĂŒr mich als Freund oder Angehörigen aber einen gewaltigen Unterschied, ob ich so ein Theater einmal im Jahr erlebe oder mehrmals im Monat.
Im Laufe der Jahre habe ich fĂŒr mich festgestellt, dass ich mit Menschen, die viel und regelmĂ€Ăig Alkohol trinken, nur schwer umgehen kann, denn man erlebt sie zu hĂ€ufig in bizarren Situationen. Es treten unangenehme CharakterzĂŒge zum Vorschein, die sich im Suff noch verstĂ€rken. All das macht in mir viel Freundschaft oder NĂ€he kaputt.
Es ist beklemmend zu erleben wie man einem Menschen, den man mag, gern "helfen" möchte, dies aber nicht geht. Anstatt meine Nettigkeit und Hilfsbereitschaft zuzulassen, wurde ich gedemĂŒtigt und bloĂgestellt. Oftmals wurde meine Hilfe nicht als solche erkannt, sondern als störend empfunden, weil sie im Grunde einen Spiegel vorhielt, in den der Erkrankte nicht blicken wollte. Ich habe mich innerlich oft verbiegen mĂŒssen, um einen Betrunkenen in seiner negativen Stimmung zu "besĂ€nftigen". Wie oft habe ich fĂŒr meinen Vater oder andere Personen gelogen, um nicht erklĂ€ren zu mĂŒssen, dass sie besoffen ihren Rausch ausschlafen? Wie oft musste ich als Kind und als Erwachsener leise durch die Wohnung schleichen in der Hoffnung, dass der Betrunkene nicht aufwacht und weiter trinkt? All das war fĂŒr mich belastend, aber wie es mir in diesen Situationen erging, hat damals selten einer nach gefragt.
Eine Sauforgie fing oft ganz harmlos an und entpuppte sich erst im Laufe des Abends als solche. Es war schon als Kind so: Wenn ich wusste, dass mein Vater nur EIN Bier trinken wollte, war der Abend gelaufen.
Und die "DrehbĂŒcher einer Sauforgie" verliefen Ă€hnlich, ob bei meinem Vater, im Freundeskreis oder darĂŒber hinaus. Wenn ich weiĂ, dass eine alkoholgefĂ€hrdete oder -kranke Person in meinem Umfeld (mit starken Stimmungsschwankungen) trinken möchte, dann Ă€ndere ich mein Verhalten. Zuerst versuche ich die Situation zu unterbinden, in dem ich fĂŒr Ablenkung sorge. Dies gelingt mir nicht oft. Wenn die erste Bierdose zischt, dann beginnt der Vorspann eines surrealen Films.
Es gibt wenige Abende, an denen ich auch mal ein paar Bier trinke. Es gibt aber sehr viele Abende, an denen ich keine Lust auf Alkohol habe. Doch wie verhielt ich mich, wenn ein Alkoholiker in meinem Umfeld unbedingt trinken wollte? Ich versuchte, wenn mir die Stimmungen der Person bekannt waren, entweder bis zu einem gewissen Pegel mitzutrinken (damit ich nicht als Spielverderber dastand) oder gar nicht zu trinken. ABER: Plötzlich spielte ich in einem Film mit, in dem ich gar nicht mitspielen wollte, weil ich am Ende wusste, wie dieser Film (oftmals) endet. Ich versuchte mich der jeweiligen Stimmung anzupassen und nahm meine WĂŒnsche zurĂŒck. Diese unbewusste Anpassungsstrategie hatte sich oft bewĂ€hrt, weil ich mĂ€Ăigend auf die UmstĂ€nde einwirken konnte. Wenn ich meine WĂŒnsche in irgendeiner Form durchsetzen wollte, dann verlief solch ein Abend unschön. Ab einem gewissen Punkt spielte es keine Rolle mehr, was ich tat. Ob ich ja sagte oder nein, ob ich das Bier holte oder nicht, ob ich ins Bett ging oder blieb. Es war zu spĂ€t!
Ich wusste genau, dass ich im Laufe des Abends an irgendeinem harmlosen Mist "Schuld" war. Und ich wusste genau, dass ich eigentlich nichts mehr tun konnte. Es gab fĂŒr mich nur noch 2 Optionen. Entweder ich erduldete die DemĂŒtigungen oder ich ging. Wenn ich auf einer Party war und es sich um einen Freund handelte, dann konnte ich gehen. Es gab jedoch auch UmstĂ€nde (auch bei meinem Vater), bei denen man nicht so einfach gehen kann. Wenn der Rausch ausgeschlafen war, gab es mir gegenĂŒber meistens eine Entschuldigung oder man konnte sich an nichts mehr erinnern. Es wurde aber kein Gedanke daran verschwendet, das Trinken zu unterlassen oder rechtzeitig aufzuhören, anstatt sich bis zum Umfallen zu besaufen.
Die eigentliche Hoffnung in all meinen bizarren Situationen bestand im Grunde lediglich darin, dass ich die betroffene Person milde stimmen wollte. Wurde eine AlkoholabhĂ€ngigkeit auch nur im Entferntesten thematisiert, reagierten die Personen meistens jĂ€hzornig oder belustigt. Mir wurden dann sofort Grenzen aufgezeigt, so nach dem Motto "Wenn es Dir nicht passt, dann geh doch....", die mich in meiner Vermutung nur noch bestĂ€tigten. Lieber beendet man eine Freundschaft als sich einem Problem zu stellen. Also ruderte ich zurĂŒck und gab zu oft "klein bei". Dieses "Klein-beigeben" war, rĂŒckblickend betrachtet, ein Fehler. Eigentlich hĂ€tte ich im Gegenzug meine Grenzen aufzeigen mĂŒssen, zumindest um meine Selbstachtung zu bewahren.
Der Suchtkranke lebt im Grunde einen hemmungslosen Egoismus aus, der jedoch krankheitsbedingt fungiert. Solange das Bier schmeckt wird vom Umfeld verlangt, sĂ€mtliche bizarren Situationen zu ertragen. Bei einem Raucher mĂŒssen andere Menschen in der Umgebung passiv mitrauchen, ob sie wollen oder nicht. Bei einem Alkoholkranken muss das Umfeld die Launen ertragen, ob es will oder nicht. Der Alkoholiker kommt gar nicht erst auf die Idee, dass sein Verhalten im Suff (oftmals) eine Zumutung sein könnte.
Da sich das Umfeld in einer emotionalen oder materiellen AbhĂ€ngigkeit befindet (bei Familien), dauert es sehr lange, bis dem Suchtkranken Grenzen aufgezeigt werden. Bis dahin wird zu viel Lebenszeit verschwendet und psychische SchĂ€den in Kauf genommen. Zu lange wird das Thema "Alkoholismus" tabuisiert, weil ein "Ausstieg" einen unangenehmen Prozess der Auseinandersetzung mit sich und der Familie beinhaltet. Im Grunde ist die radikale Abstinenz in den meisten FĂ€llen die einzige Rettung fĂŒr den Erkrankten. All die WĂŒnsche wie "es reicht aus, wenn ich weniger trinke" oder "es gibt Menschen, die ein Leben lang gesoffen haben und heute noch leben" sind Augenwischerei und Selbstbetrug. Anfang der 80Ă©r Jahre wĂ€re mein Vater möglicherweise noch zu retten gewesen, hĂ€tte wir als Familie nicht zu sehr auf das "Prinzip Hoffnung" gesetzt, sondern mit ihm hart geredet. Dies wĂ€re zumindest ein wichtiger Schritt gewesen, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.
Eine weitere bittere Erkenntnis: Am Ende kann sich der Suchtkranke nur selbst helfen, in dem er sich seine Krankheit eingesteht, bevor die Organe kaputt sind. Und auch das reicht nicht aus, weil er sich Hilfe holen muss. Viele Alkoholkranke sterben nur deshalb, weil sie ihre Krankheit lieber ins LĂ€cherliche ziehen anstatt sich eine vermeidliche SchwĂ€che einzugestehen. Der Gang zu einem Facharzt wĂ€re der lebensrettende Weg. Bis zum Tod oder einem organischen Zerfall dauert es oftmals viele Jahre, daher wird das Problem anfangs nicht erkannt. Es ist offenbar bequemer weiter zu saufen und sich (körperlich) und die Angehörigen (emotional) weiter leiden zu lassen, als sich in eine Kur zu begeben. Mein Vater lehnte eine Kur ab, weil er glaubte, meine Mutter könnte wĂ€hrend dieser Zeit einen neuen Mann kennenlernen. Eigentlich lehnte er aus Selbstmitleid diese fĂŒr ihn lebensrettende Kur ab, gab es aber nicht zu.
FĂŒr mich ist es nicht ganz unwichtig, wie sich ein Mensch im Rausch verhĂ€lt und ob er an einem Abend schnell aufhören kann zu trinken. Mein Vater bspw. konnte nach einem Bier nicht mehr aufhören und wurde fĂŒr sein Umfeld, verhaltenstechnisch betrachtet, eine Zumutung.
Im Laufe meines Lebens habe ich mich einige Male zu sehr in den Strudel dieser Krankheit (als Freund oder Angehöriger) hineinbegeben. Die betreffenden Personen wissen tief im Innersten eigentlich auch, dass ich ihnen nur helfen wollte. Bis zu einem gewissen Punkt ertrage ich unschöne Situationen. Ist dieser Punkt jedoch ĂŒberschritten, dann muss ich mich selbst schĂŒtzen und lasse los. Ich habe viel VerstĂ€ndnis fĂŒr Menschen, die in eine Sucht geraten sind. Leider wird meine diesbezĂŒglich "gutmĂŒtige" Art als "DĂ€mlichkeit oder SchwĂ€che" interpretiert. So nach dem Motto: "Pascale wehrt sich nicht, mit dem kann man es ja machen...". Einige Menschen mussten jedoch erleben, dass sie hier "schief gewickelt" waren, denn auch ich kann konsequent sein. Meine Konsequenz kommt erst mit Verzögerung, weil ich abwarte, ob sich die Dinge noch Ă€ndern.
Wer meine Anwesenheit nicht möchte (und so etwas merke ich schnell), der braucht sich nicht darĂŒber wundern, dass ich dann plötzlich aus seinem Leben verschwinde. Ich habe nur ein Leben zu leben und ich verbringe meine kostbare Lebenszeit lieber mit Menschen, die meine Anwesenheit zu schĂ€tzen wissen.
Mir tut es Leid, dass einige Leute aus meiner Vergangenheit dieses Schicksal ereilt hat, aber ihr Verhalten (DemĂŒtigungen, Beleidigungen, hemmungsloser Egoismus), welches aus dieser schweren Krankheit resultiert, wollte ich nicht lĂ€nger ertragen.
SchlieĂen möchte ich mit 2 Textzeilen des Liedes "Alkohol" von Herbert Grönemeyer.
Besser kann man diese Krankheit kĂŒnstlerisch kaum besingen.
Geschrieben im Januar 2021
Sie fingen nicht an zu saufen, sie haben schon "gesoffen", bevor sie mich kannten.
AntwortenLöschen@Anonym. Wer immer Du bist. So einfach ist das nicht. Leider wissen die Betroffenen selbst nicht, dass sie "krank" sind. Sie könnten das leicht rausfinden, indem sie mal ihre Flaschen pro Monat zĂ€hlen, die sie wegzischen und mit Tabellen von Ărzten abgleichen, ob diese Mengen noch angemessen sind. Den Alkoholismus erlebte ich immer erst dann, nachdem ich die Menschen nĂ€her kennenlernte. Sowas sieht man nicht sofort. Aber da ich mich nicht stĂ€ndig demĂŒtigen oder bloĂstellen lasse (Wer mag das schon gern?), bin ich irgendwann weg...
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